Der Energiekonzern Shell hat einen wichtigen Erfolg im Berufungsverfahren um seine CO₂-Reduktionsziele erzielt. Ein Berufungsgericht in Den Haag hob am Dienstag ein Urteil aus dem Jahr 2021 auf, das dem Unternehmen auferlegte, seine CO₂-Emissionen deutlich stärker zu senken als ursprünglich geplant. Das Gericht erkannte zwar an, dass Shell eine Verantwortung für den Klimaschutz trägt, entschied jedoch, dass dem Unternehmen keine konkreten Prozentzahlen zur Emissionsreduktion vorgeschrieben werden können.
Hintergrund und Bedeutung des Verfahrens
Das ursprüngliche Urteil von 2021 war bahnbrechend: Ein Bezirksgericht in Den Haag verpflichtete Shell, seine CO₂-Emissionen bis 2030 um 45 Prozent gegenüber dem Niveau von 2019 zu senken. Diese Anordnung umfasste nicht nur die Emissionen aus der Förderung und Verarbeitung (Scope 1), sondern auch jene, die durch Lieferanten und Kunden verursacht werden (Scope 2 und 3). Shells Beitrag zur globalen CO₂-Bilanz ist erheblich; laut Gerichtsurteil verursacht der Konzern mehr Emissionen als viele Staaten, darunter die Niederlande.
Die Umweltorganisation Milieudefensie, die die Klage 2018 initiiert hatte, sah den Fall als wegweisend für zukünftige Klagen gegen andere Großkonzerne, darunter Banken und Lebensmittelkonzerne. Tausende Einzelkläger schlossen sich der Klage an, um ein Signal für strengere Klimaschutzmaßnahmen zu setzen.
Das Urteil im Berufungsverfahren
Die Berufungsrichter in Den Haag betonten, dass der Schutz vor den Folgen des Klimawandels ein Menschenrecht sei und Shell eine Verantwortung für den Klimaschutz habe. Ein festgelegter Prozentsatz zur CO₂-Reduktion sei jedoch nicht durchsetzbar, da dies dem Konzern im globalen Wettbewerb erheblich schaden könnte. Es wurde argumentiert, dass eine Verringerung der Erdgasproduktion möglicherweise zu einer vermehrten Nutzung von Kohle führen könnte, was das Klima noch stärker belasten würde. Shell habe zudem mit seinen eigenen Zielen bereits Fortschritte im Klimaschutz gemacht, so das Urteil.
Reaktionen und Konsequenzen
Milieudefensie kann das Berufungsurteil noch vor dem Hohen Rat der Niederlande anfechten. Ihr Direktor, Donald Pols, machte schon nach dem Urteil von 2021 deutlich, dass die Organisation nicht nur gegen Shell vorgehen wolle, sondern auch gegen andere große Unternehmen wie KLM, Unilever und mehrere Banken, die als umweltbelastend gelten. Das Urteil von 2021 hatte bereits direkte Auswirkungen: Der niederländische Pensionsfonds ABP kündigte an, sich von Investitionen in Öl, Gas und Kohle zu trennen, darunter auch Anteile an Shell im Wert von mehreren Hundert Millionen Euro.
Verlegung des Firmensitzes
Noch im selben Jahr des Ersturteils 2021 gab Shell bekannt, seinen Sitz in den Niederlanden aufzugeben und vollständig nach London zu verlegen. Dieser Schritt war nicht nur steuerlich motiviert, sondern wurde auch durch die zunehmend kritische öffentliche Meinung in den Niederlanden beeinflusst. Das Land verlor damit seinen zweiten britisch-nationalen Großkonzern, nachdem auch Unilever zuvor seine Doppelstruktur aufgegeben und nach London verlagert hatte.
Das Berufungsurteil in Den Haag ist ein bedeutender Sieg für Shell, der das Unternehmen vor strikteren gesetzlichen Auflagen bewahrt, es jedoch gleichzeitig in die Verantwortung nimmt, freiwillig weiterhin Maßnahmen für den Klimaschutz zu ergreifen.