In einer dramatischen Wende des syrischen Bürgerkriegs hat die islamistische Gruppe Hayat Tahrir al-Sham (HTS) nach einer Blitzoffensive die Hauptstadt Damaskus eingenommen. Der syrische Präsident Baschar al-Assad ist Berichten zufolge ins Exil nach Moskau geflohen. Der Sturz Assads markiert einen Wendepunkt für die Region, doch die Zukunft bleibt ungewiss.
Eine neue Macht im Nahen Osten
Bis vor kurzem herrschte in Syrien ein fragiles Gleichgewicht: Assad kontrollierte den Süden, die Kurden den Nordosten und die Türkei unterstützte Milizen im Nordwesten. HTS dominierte die Provinz Idlib. Doch in einer schnellen Offensive überrollte die HTS die syrischen Regierungstruppen. Viele Positionen der Armee wurden kampflos aufgegeben, wodurch die Islamisten nun auch über schweres Militärgerät wie Panzer und Kampfjets verfügen.
„Die syrische Armee hat auf ihrem Rückzug enorme Mengen an militärischem Gerät zurückgelassen“, erklärte Terrorismusexperte Hans-Jakob Schindler. „Das gesamte Großgerät ist jetzt unter der Kontrolle von HTS und in gutem Zustand.“
Zwischen Triumph und Sorge
Während in vielen syrischen Städten das Ende des Assad-Regimes gefeiert wird, herrscht gleichzeitig große Unsicherheit. „Die Wahl zwischen Assad und HTS ist wie die Wahl zwischen Pest und Cholera“, warnte Schindler. Die Terrorgruppe hat bereits Videos veröffentlicht, die auf den Aufbau eines Kalifats hindeuten.
Obwohl HTS versucht, sich als Teil der syrischen Revolution darzustellen, ist ihre Bilanz düster. Zwischen 2020 und 2022 wurden laut Berichten 60 Angriffe auf Zivilisten verübt. Die Organisation ist bekannt für Folter und Hinrichtungen.
Finanzierung durch Steuern und Monopole
Die HTS finanzierte sich in den letzten Jahren durch ein ausgeklügeltes System der Besteuerung in Idlib. Wirtschaftliche und humanitäre Aktivitäten, Schmuggel und der Handel mit Ölderivaten wurden besteuert. Ein Unternehmen der HTS verdiente allein mit Ölderivaten monatlich 1,67 Millionen US-Dollar. Doch die Monopolisierung trieb die Preise in die Höhe und führte dazu, dass viele Bewohner Idlibs Treibstoff und Gas nicht mehr bezahlen konnten.
Zusätzlich generiert HTS Gelder über Spenden aus dem Ausland und durch Lösegeldzahlungen. Für die Freilassung von UN-Soldaten und westlichen Zivilisten soll die Gruppe zwischen 30 und 50 Millionen Euro erhalten haben.
Blick auf die Zukunft
Die Kurden, die den Nordosten Syriens kontrollieren, stehen nach der Machtübernahme durch HTS vor neuen Bedrohungen. Insbesondere die Ölreserven in kurdischem Gebiet könnten Ziel zukünftiger Angriffe werden. Die Kurden fördern etwa 80.000 Barrel Öl täglich, was bei aktuellen Preisen einem Wert von 5,6 Millionen US-Dollar entspricht.
Schindler betonte, dass die langfristige Stabilität Syriens entscheidend sei. „Nach mehr als einem Jahrzehnt Bürgerkrieg ist das Land zerstört. Ohne Stabilität und Frieden werden Investitionen ausbleiben, und Syrien wird weiterhin im Chaos verharren.“ Wie die Machtverhältnisse in Zukunft aussehen, bleibt ungewiss.