Kirstin ScheunerDie Tafeln in Deutschland stehen vor einer beispiellosen Herausforderung: Rund 60 Prozent der ehrenamtlichen Einrichtungen müssen die ausgegebenen Lebensmittel rationieren, um der stark gestiegenen Nachfrage gerecht zu werden. Das gab Andreas Steppuhn, Vorsitzender des Tafel-Dachverbands, gegenüber der Neuen Osnabrücker Zeitung bekannt.
Steigende Armut und hohe Nachfrage
Die Zahl der Bedürftigen, die auf die Unterstützung der Tafeln angewiesen sind, hat seit Beginn des Ukraine-Kriegs um durchschnittlich 50 Prozent zugenommen. Aktuell werden etwa 1,6 Millionen Menschen bundesweit durch die Tafeln versorgt. Die Kapazitäten der Einrichtungen sind vielerorts erschöpft. „Ein Drittel der Tafeln sieht sich gezwungen, temporäre Aufnahmestopps oder Wartelisten einzuführen, um die steigende Nachfrage zu bewältigen“, so Steppuhn.
Die Ursache für diesen Anstieg sieht der Verband in den seit Jahren unzureichenden sozialen und wirtschaftlichen Maßnahmen. „Renten und Löhne sind längst nicht so gestiegen wie die Lebenshaltungskosten“, betonte Steppuhn. Steigende Lebensmittelpreise und Mieten verschärfen die Situation zusätzlich.
Appell an die Politik
Der Dachverband fordert von der Politik entschiedenes Handeln gegen Armut. „Tafeln können nicht auffangen, was der Staat seit Jahrzehnten versäumt hat“, erklärte Steppuhn. Er lobte die vorgeschlagene Mehrwertsteuersenkung auf Lebensmittel durch Bundeskanzler Olaf Scholz als ersten Schritt, wies jedoch darauf hin, dass dies bei weitem nicht ausreiche.
Besonders besorgniserregend ist die Zunahme von Altersarmut in Deutschland. Steppuhn kritisierte das Rentenniveau von derzeit 48 Prozent und den Mindestlohn, der nur knapp über 14 Euro liege. „Diese Politik führt direkt in die Altersarmut“, warnte er.
Armut und gesellschaftliche Spannungen
Steppuhn sieht auch einen Zusammenhang zwischen wachsender Armut und der Zunahme von Rechtsextremismus in Deutschland. Er forderte die demokratischen Parteien auf, diese Entwicklung endlich ernst zu nehmen und entschlossen gegenzusteuern.
Die Lage der Tafeln verdeutlicht die dringende Notwendigkeit umfassender Maßnahmen gegen soziale Ungleichheit. Ohne politische Veränderungen droht eine weitere Verschärfung der Armut – mit schwerwiegenden Folgen für die Gesellschaft.
