Angela Merkel gewährt in ihrer Autobiografie Freiheit Einblicke in ihr Leben und ihre 16 Jahre als Bundeskanzlerin. In Zusammenarbeit mit ihrer langjährigen Büroleiterin Beate Baumann entstand ein Buch, das trotz seiner 736 Seiten keinen spektakulären Enthüllungen dient, sondern als reflektierte und diplomatische Rückschau überzeugt.
Selbstkritisch, aber standhaft
Merkel zeigt in ihren Erinnerungen – wie sie selbst schreibt – eine “angemessene Selbstkritik”. Besonders in kontroversen Themen, wie ihrer Entscheidung 2015, die Grenzen für Flüchtlinge offen zu lassen, durchdenkt sie ihre Handlungen erneut. Sie bleibt jedoch bei der Überzeugung, dass ihre Entscheidungen oft alternativlos waren. Ihre ruhige, sachliche Art, gepaart mit einem klaren moralischen Kompass, zieht sich wie ein roter Faden durch das Werk.
Merkels Stil wirkt unaufgeregt und durchdacht. „So denke ich“, schreibt sie mehrfach, und diese ehrliche Haltung unterscheidet sie von vielen ihrer politischen Zeitgenossen. Ihr Vorwort erklärt, warum sie diese Rückschau schrieb: „Ich wollte die weitere Schilderung und Interpretation nicht allein anderen überlassen.“
Herausforderungen in der Macht
Ein zentrales Thema ist ihre Fähigkeit, politische Herausforderungen mit Geduld und kluger Strategie zu meistern. Sie beschreibt, wie sie die Männer des CDU-“Andenpakts” hinter sich ließ und 2005 mit stoischer Ruhe Gerhard Schröders Verhalten in der Elefantenrunde konterte. Auch an internationale Machtspiele, wie die Provokation durch Wladimir Putin mit dessen Hund, erinnert sie sich mit diplomatischer Zurückhaltung. Merkel hält sich an die Regel: „Never explain, never complain.“
Ein Blick auf die Vergangenheit
Neu ist, wie stark Merkel ihre ostdeutsche Identität betont. Während ihrer Kanzlerschaft hielt sie diese eher im Hintergrund, doch in ihrem Buch schildert sie prägende Momente aus ihrer Jugend in der DDR – darunter den Mauerfall. Diese Perspektiven geben Einblicke in ein Leben, das die Gegensätze von Pflicht und Freiheit vereint.
Die Rolle von Beate Baumann
Eine zentrale Figur ist Beate Baumann, ihre langjährige Vertraute und Ko-Autorin. Das Buch zeigt, wie entscheidend Baumanns Einfluss auf Merkels politische Linie war. So entstand etwa das berühmte „Wir schaffen das“ durch Baumanns Ermutigung. Ihre unsichtbare Rolle im Hintergrund wird in Freiheit klarer beleuchtet.
Ein Buch für die Geschichte
Mit Freiheit legt Angela Merkel ein Werk vor, das nicht nur ihre politischen Entscheidungen verteidigt, sondern auch als persönlicher Einblick in die Gedankenwelt einer der einflussreichsten Politikerinnen unserer Zeit dient. Es ist kein Skandalbuch, sondern eine kluge, lesenswerte Reflexion einer bemerkenswerten Karriere.