Die künftige Migrationspolitik entwickelt sich zum zentralen Streitpunkt zwischen Union und SPD – noch bevor überhaupt eine neue Regierung im Amt ist. Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat mit einem Auftritt in Berlin deutlich gemacht, dass sie keine Notwendigkeit für einen Kurswechsel in der Asylpolitik sieht. Das bringt Friedrich Merz, der als neuer Kanzler gesetzt ist, frühzeitig unter Druck.
Erfolgsmeldung mit politischer Sprengkraft
Auf einer Pressekonferenz stellte Faeser die Migrationspolitik der scheidenden Ampelregierung als Erfolg dar. Man habe, so die Ministerin, die irreguläre Migration wirksam begrenzt, die Schleuserkriminalität erheblich eingedämmt und gleichzeitig die Fachkräftezuwanderung gestärkt. „Das war unser Ziel, und das haben wir erreicht“, erklärte sie.
Zugleich warnte sie vor vereinfachten Parolen in der Migrationspolitik. „Migrationspolitik ist nichts für Sprücheklopfer“, sagte Faeser – ein Seitenhieb auf CDU-Chef Friedrich Merz, der im Wahlkampf eine strikte Asylwende angekündigt hatte.
Mit dieser Äußerung sendet Faeser ein deutliches Signal an ihren eigenen Verhandlungspartner – und riskiert einen offenen Konflikt innerhalb der künftigen Koalition.
Union in der Zwickmühle
Die Union hatte im Wahlkampf das Thema Migration in den Mittelpunkt gestellt. Friedrich Merz versprach damals „Zurückweisungen an der Grenze ab dem ersten Tag seiner Kanzlerschaft“ – notfalls durch seine Richtlinienkompetenz.
Doch durch Faesers öffentliche Absage an eine harte Wende gerät dieses zentrale Versprechen ins Wanken. Kommentatoren wie Ulrich Reitz sehen darin ein ernsthaftes Problem für die Glaubwürdigkeit der Union. „Wenn die Union ihr Versprechen einer durchgreifenden Migrationswende nicht halten kann, dann hat sie praktisch nichts mehr vorzuweisen“, sagt er.
Zudem sind die Erwartungen der eigenen Wählerschaft hoch. Sollte die CDU ihre Position aufgeben oder verwässern, könnte sie in direkten Wettbewerb mit der AfD geraten – mit ungewissem Ausgang. In aktuellen Umfragen nähert sich die AfD bereits gefährlich der Union. „Isoliert man die CSU aus den Zahlen, liegt die AfD jetzt schon vor der CDU“, stellt Reitz fest.
Zahlen zwischen Realität und Wahrnehmung
Faeser verwies auf rückläufige Zahlen im Bereich der Schleuserkriminalität. Doch bei den Asylanträgen sieht das Bild anders aus: Im Jahr 2024 wurden rund 250.000 Anträge gestellt – ein Niveau, das mit den Zielen einer konsequenten Begrenzung kaum vereinbar erscheint.
Die Gewerkschaft der Polizei bewertete Faesers Bilanz als unzureichend. Ein Sprecher sprach von einer „politisch verklärten Darstellung“, die den tatsächlichen Herausforderungen an den Außengrenzen nicht gerecht werde.
Strategische Positionierung innerhalb der SPD
Faesers Aussagen sind auch als Unterstützung für SPD-Chef Lars Klingbeil zu verstehen, der sich innerhalb seiner Partei für eine behutsame Linie in der Migrationsfrage starkmacht. Während Klingbeil auf Dialog und Integration setzt, fordert die Union eine klare Abgrenzung – auch aus Angst vor dem wachsenden Einfluss der politischen Rechten.
Die SPD nutzt Faesers Bilanz als Argument dafür, dass es keiner radikalen Wende bedarf. Die Ministerin selbst positioniert sich damit als Verfechterin einer pragmatischen, aber standhaften Linie – und macht zugleich deutlich, dass die SPD nicht gewillt ist, der Union bei der Migrationsfrage nachzugeben.
Verhärtete Fronten vor Beginn der Gespräche
Die Koalitionsverhandlungen stehen damit unter einem schlechten Stern. Bereits vor dem ersten offiziellen Treffen zeichnen sich massive inhaltliche Differenzen ab. Beobachter sprechen von einem möglichen „Blockadethema“, das die gesamte Regierungsbildung gefährden könnte.
Ein Verhandler aus CDU-Kreisen erklärte: „Die Aussagen von Frau Faeser sind ein Schlag ins Gesicht all jener, die glaubten, dass mit einer neuen Regierung eine echte Wende möglich wäre.“
Ob sich beide Seiten in der Migrationspolitik auf eine gemeinsame Linie verständigen können, bleibt fraglich. Klar ist: Die Innenpolitik dürfte eines der zentralen Konfliktfelder der kommenden Legislaturperiode werden.