Mehr Wiederholer in Klasse 1: Grundschulen unter Druck

mehr-wiederholer-in-klasse-1:-grundschulen-unter-druck

Herausforderungen im Klassenzimmer nehmen zu

In deutschen Grundschulen wächst die Zahl der Erstklässler, die das Schuljahr nicht bestehen. Besonders betroffen ist die Gräfenauschule in Ludwigshafen, wo 2023 insgesamt 39 Kinder und 2024 weitere 37 Kinder die erste Klasse wiederholen mussten. Lehrkräfte berichten von zunehmenden Startschwierigkeiten bei Kindern, die oft schon mit erheblichen Defiziten eingeschult werden.

Sprachprobleme und mangelnde Feinmotorik als Haupthindernisse

In der Klasse 1e unterrichtet Eva-Maria Wenz Kinder, die nicht nur Schwierigkeiten beim Lesen oder Schreiben haben. “Viele Kinder wissen nicht einmal, wie man eine Schere richtig benutzt“, berichtet die Lehrerin. Einige Schüler wie Sabri müssen erst lernen, ihren eigenen Namen zu schreiben. Andere, wie Amalia, kämpfen mit dem korrekten Halten des Stifts. Auch die Konzentrationsfähigkeit fehlt vielen. Die Defizite sind so gravierend, dass Wenz nach wenigen Monaten bereits differenzierte Aufgaben verteilen muss.

Migrationshintergrund und fehlender Kindergartenbesuch verstärken Probleme

Ein zentrales Problem liegt laut Wenz im fehlenden Besuch von Kindergärten. Viele Schüler hätten daher grundlegende Kompetenzen nicht erworben. An der Gräfenauschule haben 98 Prozent der Kinder einen Migrationshintergrund, während der bundesweite Schnitt bei rund einem Drittel liegt. Die sprachlichen Barrieren erschweren die Vermittlung des Unterrichtsstoffs erheblich.

Lehrkräfte sehen sich im Stich gelassen

In einer ARD-Befragung von 7.000 Grundschullehrkräften gaben 87 Prozent an, dass die Kinder heute mit deutlich mehr Defiziten starten als noch vor zehn Jahren. Dennoch stehen den meisten nur sehr wenige Zusatzstunden zur Verfügung: 52 Prozent erhalten keine zusätzliche Förderzeit, weitere 28 Prozent lediglich eine Stunde pro Woche. “Schule darf nicht zum Reparaturbetrieb werden“, mahnt Havva Engin, Professorin für Erziehungswissenschaft in Heidelberg.

Hamburgs Vorschulmodell als potenzielles Vorbild

Das Hamburger Modell, bei dem alle viereinhalbjährigen Kinder auf ihre Schulreife getestet werden, gilt vielen als Vorbild. Kinder mit Förderbedarf besuchen dort verpflichtend eine Vorschule. Das Modell zeigt Wirkung: Hamburg verzeichnet deutlich weniger Wiederholer als andere Bundesländer. Auch Hessen und Baden-Württemberg haben ähnliche Vorschulen eingeführt.

Bundesweite Umsetzung weiter ungewiss

Eine ähnliche Vorschule lehnt Rheinland-Pfalz, Heimatland der Gräfenauschule, bislang ab. Ministerpräsident Alexander Schweitzer erklärte, man wolle stattdessen auf Kita-basierte Förderansätze setzen. Trotzdem sollen auch dort ab dem Schuljahr 2026/2027 verpflichtende Tests für Kinder ab viereinhalb Jahren eingeführt werden.

Erneut viele Wiederholer zum Schuljahresende

Die Lage bleibt angespannt. Eva-Maria Wenz rechnet auch in diesem Jahr mit zahlreichen Wiederholungen: 35 Erstklässler werden an der Gräfenauschule die Klasse nicht bestehen. “Manche Kinder brauchen fast ein Jahr, um überhaupt schulreif zu werden“, sagt sie.

nicht verpassen