Während Brüssel intensiv über eine Neugestaltung des Asylsystems debattiert, erfährt die Anzahl der Asylanträge in der EU sowie in der Schweiz und Norwegen einen deutlichen Anstieg. Ein Bericht deutet darauf hin, dass im Laufe dieses Jahres voraussichtlich erstmals seit 2016 die beeindruckende Marke von einer Million Anträgen erneut erreicht wird.
In den insgesamt 27 Staaten der Europäischen Union und ergänzt durch die Schweiz und Norwegen – gemeinsam als EU+ Länder bezeichnet – wird für dieses Jahr prognostiziert, dass die Anzahl der Asylanträge die Schallmauer von einer Million durchbricht. Dies stellt den höchsten Stand seit dem Jahr 2016 mit 1,23 Millionen Anträgen dar. Diese Information stützt sich auf die aktuellsten, bislang nicht publizierten Daten der EU-Asylagentur (EUAA), welche in einem zeitnahen Bericht der EU-Kommission erwähnt werden.
Von Beginn des Jahres bis zum Stichtag, dem 3. Oktober, wurden bereits 801.459 Asylanträge in den EU+ Ländern eingereicht. Vor allem Lettland mit einem Anstieg von 168 Prozent und Estland mit 119 Prozent erleben massive Zunahmen, die in direktem Zusammenhang mit der gestiegenen illegalen Migration aus Belarus aufgrund des Ukraine-Konflikts stehen. Deutschland verzeichnet mit 74 Prozent ebenfalls einen bedeutenden Anstieg im Vergleich zum Vorjahr, wohingegen Frankreich mit 37 Prozent einen vergleichsweise moderateren Anstieg zeigt.
Die stärksten Abnahmen der Asylanträge seit Jahresbeginn wurden aus Dänemark (minus 56 Prozent), Malta (minus 54 Prozent) und Zypern (minus 52 Prozent) berichtet.
Bemerkenswert ist Ungarns Position: Das Land verzeichnet mit insgesamt 26 Anträgen seit Beginn des Jahres die geringste Anzahl. Dies wird als Erfolg der rigorosen Asylpolitik und der strikten Grenzkontrollen unter Ministerpräsident Viktor Orban betrachtet.
In Deutschland stammt fast ein Drittel der Asylanträge von Bürgern aus Syrien (27 Prozent), gefolgt von Migranten aus Afghanistan (17 Prozent) und der Türkei (16 Prozent).
Interne Daten der EU-Kommission zeigen, dass die Unruhen in der Sahel-Zone zu einem Anstieg der Migration führen, wenn auch auf einem vergleichsweise niedrigen Level. So stieg die Anzahl der Migranten, die aus Mali nach Italien gelangten, um beeindruckende 733 Prozent auf 4.968 Personen an. Ebenso erhöhten sich die Anträge von Bürgern des Sudan in Italien um 450 Prozent auf 4.000 Anträge.
Seit einigen Jahren ist die EU bestrebt, die Anzahl irregulärer Migranten zu minimieren. Nach den Krisenjahren 2015 und 2016 verzeichneten die Antragszahlen, nicht zuletzt aufgrund der globalen Corona-Pandemie, einen Rückgang. Allerdings zeigt der aktuelle Trend seit dem vergangenen Jahr erneut einen deutlichen Anstieg.
Im Rahmen ihrer Reformbemühungen plant die EU, an ihren Außengrenzen Schnellverfahren für Migranten mit geringen Schutzaussichten einzuführen. Dennoch dürfte dieser Prozess nur für einen Bruchteil der Ankommenden relevant sein. Ein Großteil wird den normalen, oftmals mehrjährigen Asylprozess durchlaufen.
Es ist auch bemerkenswert, dass Ungarn, gemäß dem EU-Verteilungsschlüssel, die meisten dieser Schnellverfahren durchführen sollte. Dies erscheint jedoch unwahrscheinlich, da Budapest bisherige Vorschläge zur europäischen Asylreform größtenteils abgelehnt hat.
Zudem neigen immer mehr Staaten zur Position von Dänemark und Österreich. Diese beiden Länder plädieren seit geraumer Zeit dafür, Asylverfahren in sicheren Drittstaaten, wie etwa Ruanda, Ägypten oder Tunesien, durchzuführen.