Schutzbedürftigkeit entzogen
Seit dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs im Februar 2022 haben zahlreiche Ukrainer Zuflucht in Ungarn gesucht. Doch die Gastfreundschaft des Nachbarlands hat ihre Grenzen erreicht. Ein neues Dekret, das seit kurzem in Ungarn in Kraft ist, droht Tausende von ihnen obdachlos zu machen. Die ungarische Regierung argumentiert, dass die Ukrainer genug Zeit hatten, sich zu integrieren, und entzieht ihnen nun die Schutzbedürftigkeit.
Hintergrund des Dekrets
Das am Mittwoch in Kraft getretene Dekret, das Regierungschef Viktor Orban bereits im Juni unterzeichnet hatte, sieht vor, dass Ukrainer aus Regionen, die von Budapest als sicher eingestuft werden, keine staatliche Unterstützung mehr erhalten. Konkret bedeutet dies, dass Flüchtlinge aus Regionen der Ukraine, die nach Einschätzung der ungarischen Regierung nicht unmittelbar vom russischen Angriffskrieg betroffen sind, keine Hilfe mehr bekommen. Von den insgesamt 26 ukrainischen Regionen betrachtet Ungarn 13 als sicher, was etwa der Hälfte des Landes entspricht.
Die Konsequenzen dieses Dekrets sind gravierend: Nach Schätzungen des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR könnten dadurch zwischen 2000 und 3000 Ukrainer in Ungarn ihre staatlich geförderte Unterkunft verlieren. Die Auswirkungen auf die betroffenen Menschen sind vielschichtig und dramatisch.
Erste Konsequenzen: Zwangsräumungen und Obdachlosigkeit
Die Umsetzung des Dekrets hat bereits begonnen, wie die Hilfsorganisation Migration Aid berichtet. In der Kleinstadt Kocs, nördlich von Budapest, wurden etwa 120 ukrainische Flüchtlinge unter polizeilicher Aufsicht aus einem Gästehaus vertrieben. Unter ihnen befanden sich vor allem Roma-Frauen und -Kinder aus der westukrainischen Region Transkarpatien, die für ihre große ungarische Minderheit bekannt ist.
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Eine der Betroffenen, Marina Amit, eine fünffache Mutter, die letztes Jahr nach Ungarn floh, schilderte ihre verzweifelte Lage: “Wir sind in einer hoffnungslosen Lage, weil wir nirgendwohin können.” Sie fügte hinzu, dass sie Angst habe, ihr 17-jähriger Sohn könnte bei einer Rückkehr in die Ukraine in die Armee eingezogen werden.
Regierung verteidigt Vorgehen
Die ungarische Regierung verteidigt ihr hartes Vorgehen gegenüber den ukrainischen Flüchtlingen. Norbert Pal, der Regierungsbeauftragte, erklärte gegenüber der regierungsnahen Zeitung “Magyar Nemzet”, dass das Dekret “vernünftig und angemessen” sei. Er betonte, dass die Flüchtlinge zweieinhalb Jahre nach Beginn des Krieges ausreichend Zeit gehabt hätten, um sich in Ungarn zu integrieren und wieder auf die Beine zu kommen.
Diese Argumentation stößt jedoch auf scharfe Kritik. Das UNHCR warnt, dass die neue Regelung nicht nur zum Verlust von Unterkünften führen, sondern auch Arbeitsverträge gefährden und die Schulbildung ukrainischer Flüchtlingskinder beeinträchtigen könnte. Dies würde die bisherigen Integrationsfortschritte zunichtemachen.
Politische Dimension und internationale Reaktionen
Das Vorgehen der ungarischen Regierung ist nicht nur innenpolitisch brisant, sondern hat auch eine internationale Dimension. Viktor Orban, der ungarische Premierminister, ist innerhalb der Europäischen Union der einzige Regierungschef, der trotz des russischen Einmarschs in die Ukraine weiterhin enge Beziehungen zu Moskau unterhält. Er lehnt Waffenlieferungen an die Ukraine ab und steht mit dieser Haltung in starkem Kontrast zu den meisten anderen EU-Mitgliedstaaten.
Ungarn hat im Vergleich zu anderen Ländern in der Region deutlich weniger ukrainische Kriegsflüchtlinge aufgenommen. Nach Angaben des UNHCR haben lediglich etwa 46.000 Ukrainer in Ungarn einen Schutzstatus beantragt. Diese Zahl ist im Vergleich zu den Millionen von Flüchtlingen, die in anderen europäischen Ländern Zuflucht gefunden haben, relativ gering.
Das neue Dekret der ungarischen Regierung, das vielen ukrainischen Flüchtlingen die Schutzbedürftigkeit abspricht, wird erhebliche humanitäre Konsequenzen haben. Tausende Menschen könnten ihre Unterkunft und damit ihre letzte Sicherheit in einem fremden Land verlieren. Trotz internationaler Kritik bleibt die ungarische Regierung bei ihrer harten Linie und setzt damit nicht nur die Integration der Flüchtlinge aufs Spiel, sondern auch ihre eigene Position innerhalb der Europäischen Union.
Das Schicksal der betroffenen Ukrainer ist ungewiss, und die humanitären Organisationen stehen vor großen Herausforderungen, um denjenigen zu helfen, die nun vor dem Nichts stehen. Es bleibt abzuwarten, ob die ungarische Regierung ihre Haltung ändert oder ob sie weiterhin den Weg der Abschottung und Härte beschreitet.